Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft

Flexibilisierung in der Industrie

Die Flexibilisierung des Energiesystems ist eine der zentralen Voraussetzungen für die erfolgreiche Energiewende. Der Industriesektor ist hierbei aufgrund des hohen Energieverbrauchs von zentraler Bedeutung. In einer Online-Veranstaltung, welche wir zusammen mit der ThEGA und der LEA Hessen im März durchgeführt haben, haben wir uns daher mit den Möglichkeiten zur Flexibilisierung von Energieeinsatz und Produktionsprozessen in der energieintensiven Grundstoffindustrie auseinandergesetzt.

Ist die Flexibilisierung elektrifizierter Industrieprozesse der Schlüssel zur Wirtschaftlichkeit? Dieser Frage ging Dr. Tobias Fleiter, Leiter des Geschäftsfelds Nachfrageanalysen und -projektionen vom Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), in der Veranstaltung „Flexibilisierung in der Industrie“ auf den Grund.

Flexibilisierung und der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft

Der Ausbau der Stromversorgung aus erneuerbaren Energiequellen schreitet zügig voran. In Niedersachsen lag der Anteil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien im Jahr 2023 bei 72 %. Mit konventionellen Kraftwerken konnte bislang die Stromerzeugung auf den Bedarf ausgerichtet erzeugt werden, was mit Wind und Sonne in der Form nicht möglich ist. Die Deckung der sogenannten Residuallast rückt daher immer mehr in den Fokus.

Bisher sind Produktionsprozesse in der Grundstoffindustrie kaum flexibilisiert. Die Mehrheit der Unternehmen nutzt kapitalintensive Produktionsanlagen, die im Hinblick auf einen kontinuierlichen Betrieb optimiert wurden und demnach hoch ausgelastet sind. Flexibilisierung und Elektrifizierung sind technologisch bereits möglich, jedoch sind die Investitionskosten meist sehr hoch; auch fehlen häufig noch Betriebserfahrungen. Informationen zu technischen Möglichkeiten der Dekarbonisierung gängiger Wärmeanwendungen in der Industrie finden Sie in unseren Faktenblättern.

Flexibilisierung der Industrie fördert die Energiewende

Das Fraunhofer ISI erwartet dennoch einen starken Anstieg des Strombedarfs aufgrund der zunehmenden Elektrifizierung von Anlagen und Prozessen in der Industrie: Bis 2045 soll die Stromnachfrage um 140 Prozent steigen. Daher benötigt das Stromsystem saisonale Ausgleichsmöglichkeiten sowie kurzfristige Flexibilität. Eine Flexibilisierung fördert zudem die Einbindung erneuerbarer Energien in das System und erleichtert den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft.

Die Ergebnisse einer Studie des Kompetenzzentrums Klimaschutz in energieintensiven Industrien (KEI) (eine Zusammenarbeit zwischen dem Fraunhofer ISI und dem IOB RWTH Aachen) zeigen, dass die flexible Industrielast eine unterstützende Rolle bei der Integration erneuerbarer Energien spielen kann, indem sie die Schwankungen im Stromangebot über mehrere Stunden hinweg ausgleicht. Das ISI ermittelt ein zukünftig erschließbares Potential von etwa 5 GW Lastreduktion sowie etwa 1 GW Lasterhöhung für den mittleren Zeitraum von vier Stunden.

Hybride Energieversorgung von Prozesswärmeanwendungen als Schlüssel

Hybride Modelle stellen laut Dr. Fleiter eine Schlüsseltechnik bei der Flexibilisierung dar, da hierbei die bestehenden Produktionsprozesse nicht tiefergreifend angepasst werden müssen. Unternehmen sollten in diesem Zusammenhang jedoch nicht auf die Entwicklung und den Ausbau von Wasserstoffanbindungen warten. Im ersten Schritt seien zunächst Energieeffizienzmaßnahmen sinnvoll – also die Optimierung bestehender Systeme.

Beispielsweise kann durch die Nutzung der Abwärme Energie eingespart werden. Im zweiten Schritt können hybride Systeme den Übergang zu der vollständigen Elektrifizierung erleichtern. So kann der zusätzliche Einsatz von Großwärmepumpen oder ein elektrisches Vorheizen vorteilhaft sein, wie folgende Abbildung (Folie 23) des Fraunhofer ISI zusammenfasst.

Bildquelle: Fraunhofer ISI

 

Wirtschaftlichkeit der Flexibilisierung 

Weiterführend sind laut Dr. Fleiter auch die regulatorischen Rahmenbedingungen von Bedeutung: Diese müssten bei der Transformation hin zu einer Flexibilisierung angepasst werden – insbesondere in Bezug auf die Stromnetzentgelte. Zurzeit beeinträchtigen die Netzentgelte die Energiewende in der Industrie eher, als dass sie sie unterstützen – denn bei einer Flexibilisierung fallen für Unternehmen zunächst zusätzliche Netzentgelte an. Investitionen in elektrifizierte Prozesswärmeanwendungen werden also erst dann wirtschaftlich, wenn die Effizienzvorteile (beispielsweise durch den Einsatz einer Wärmepumpe) die zusätzlichen Netzentgelte aufwiegen.

Um die Flexibilisierung zu stärken, müsste daher eine intensive und atypische* Netznutzung stärker gefördert werden, indem die Netzentgelte bei diesem netzdienlichen Betrieb reduziert werden (Folie 27). Hierdurch würde es für Unternehmen stärkere Anreize geben, flexibel auf Spitzenlastzeiten zu reagieren.

*(Bei der atypischen Netznutzung reduziert ein Verbraucher seinen Strombedarf gezielt während Spitzenlastzeiten, um das Netz zu entlasten und zahlt dafür reduzierte Netzentgelte)

 

Bildquelle: Fraunhofer ISI

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