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Digitale Anwendungen bieten sowohl für das kommunale Energiemanagement wie für die kommunale Wärmeplanung ungeahnte Möglichkeiten. Bei der Fachtagung „Kommunen auf dem smarten Weg in die Zukunft – Chancen durch digitale Energie- und Wärmeplanung“, die am Donnerstag, 31. August 2023 in Oldenburg stattfindet, geht es u.a. um das Förderprogramm Modellprojekte Smart Cities (MPSC). Mit dem Leiter der Koordinierungs- und Transferstelle des Programms, Matthias Woiwode von Gilardi, haben wir vorab ein Interview geführt.
Veröffentlicht am: 17. August 2023
Das Förderprogramm Modellprojekte Smart Cities (MPSC) ermöglicht es Kommunen, ihre Lösungswege und Smart City-Maßnahmen in der Praxis zu testen. Die MPSC entwickeln Maßnahmen, die konkret vor Ort wirken, die aber durch ihre Übertragbarkeit ein Modell sein können, von denen andere Städte, Gemeinden und Regionen lernen können. Die zentrale Frage, der sich die Koordinierungs- und Transferstelle Smart Cities (KTS) in der Gesamtschau der MPSC widmet, ist: unter welchen strukturellen örtlichen Bedingungen (wie naturräumliche Lage, Siedlungsstruktur, Bevölkerungsdichte, wirtschaftliche Lage usw.) funktioniert welche digitale Lösung für welches kommunale Entwicklungsziel? Wenn daraus ein Katalog von Smart City-Lösungen entsteht, profitieren schließlich alle Kommunen von den Erfahrungen der Modellprojekte. Durch das im Programm verankerte „Open-Source-Gebot“ und der Pflicht, die Quellcodes der Lösungen auf dem vom Bund betriebenen Portal OpenCoDE zu veröffentlichen, sind die entwickelten Lösungen wie etwa das Klimadashboard aus Münster grundsätzlich unabhängig von bestimmten Anbietern und können auch von anderen Kommunen genutzt werden.
Digitale Anwendungen haben ein besonderes Potenzial für die Organisation komplexer Systeme wie des Systems Stadt (oder allgemeiner: menschlicher Siedlungsgebiete und Wirtschaftsräume). Die Nutzung verschiedener Daten – insbesondere Echt- und Langzeitdaten – und digitaler Anwendungen schafft eine bessere Evidenz als Grundlage für Entscheidungen, erlaubt die Simulation geplanter Maßnahmen und eine dynamische Visualisierung ihrer Wirkungen und ermöglicht die Früherkennung unerwünschter Entwicklungen sowie die (teil)automatisierte Steuerung oder Korrektur. Das ist „smart“ im wahrsten Sinne des Wortes – nämlich selbst-überwachend und selbst-regulierend – und das Zukunftsversprechen der Digitalisierung, das die Modellprojekte experimentell erkunden.
Die kritisch-konstruktive Auseinandersetzung der Kommunen mit der Digitalisierung in der Stadtentwicklung führt bereits zur Anpassung des Instrumentariums der formellen und informellen Raum- und Stadtplanung, wie etwa dem Integrierten Digitalen Entwicklungskonzept (IDEK) in Anlehnung an Integrierte Stadtentwicklungskonzepte (ISEK). Interessant ist auch, dass Bürgerinnen und Bürger besser nachvollziehen können, warum welche Entscheidungen getroffen werden und wie ihr eigenes Handeln wirkt. Das ist aus meiner Sicht ein ganz wesentlicher Beitrag zum berühmten Kulturwandel, der Verhaltensänderungen voraussetzt und der für die große Transformation nötig ist. Denn nach meiner Überzeugung können wir diese Transformation nicht mit Technologie allein meistern.
Eine Herausforderung, die alle Kommunen betrifft und die ein wichtiger Aspekt der Arbeit der Modellprojekte ist, ist in der Tat die Sicherung des langfristigen Betriebs und der Finanzierung digitaler Smart City-Lösungen. Daher ist die Entwicklung nachhaltiger Betreibermodelle Gegenstand der Projekte. Hier werden unterschiedliche Lösungen erkundet, wie beispielsweise Mandantenmodelle, bei denen eine Kommune die vorhandenen Service- und Betriebsstrukturen einer anderen Kommune mit nutzt, um etwa eine digitale urbane Datenplattform zu betreiben. Grundsätzlicher ist die Frage, welche Rolle „digitale Daseinsvorsorge“ im Sinne von Kommunen betriebener digitaler Dienste und Infrastrukturen künftig im kommunalen Aufgabenspektrum spielt und wie diese finanziert wird.
Die Folgen der Klimakrise und das Ziel der Klimaneutralität zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens stellen alle Kommunen gerade vor große Herausforderungen. Umso dringender suchen sie nach Lösungen und Antworten auf die Frage, wie sie die Transformation zu einem nachhaltigen Energiesystem gestalten können. Und das ist ja nur eine Teilaufgabe der Gestaltung einer nachhaltigen Gesellschaft und ressourcenschonenden Wirtschaft – neben der notwendigen Bauwende, der Verkehrswende, der Produktions- und Konsumwende usw.
Die Bereitschaft der Kommunen ist offensichtlich da: 33 Modellprojekte beschäftigen sich aktuell mit dem Handlungsfeld „Energie". Klimaschutz und Klimaanpassung sind sogar in 41 geförderten Kommunen ein zentrales Thema. Viele Kommunen – auch nicht geförderte – entwickeln mit Hochdruck digitale Anwendungen, mit denen die Energiewende besser, schneller, kostengünstiger und demokratischer vollzogen werden kann. Immer mehr Kommunen sehen heute die Vorteile und Chancen der Digitalisierung und wollen sie für sich nutzen. Das merken wir auch an der wachsenden Nachfrage nach unseren Informations- und Beratungsformaten.
Viele der Modellprojekte sind nach Verabschiedung ihrer Smart City-Strategien erst kürzlich in die Umsetzung gestartet, so dass die große Mehrzahl der Maßnahmen noch nicht abgeschlossen ist und viele gar erst am Anfang stehen. Aber bereits während der Planung und Pilotierung der Projekte wird das eingangs beschriebene Potenzial von Daten und digitalen Anwendungen – besonders auch bei der Gestaltung der kommunalen Energiewende – deutlich.
Viele Modellprojekte bauen ihre Städte als „digitale Zwillinge“ virtuell nach. So werden komplexe „Was-Wäre-Wenn“-Szenarien möglich, die die Optionen von Maßnahmen für lebenswerte und zukunftsfähige Städte simulieren. Auf diese Weise schaffen digitale Zwillinge fundiertere Planungsentscheidungen und tragen dazu bei, dass Bürgerinnen und Bürger besser in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden und mitgestalten können. Ein Beispiel im Bereich Energie ist der Digitale Energie-Zwilling der Stadt Regensburg, der aktuell pilotiert wird. Er ist ein Planungs- und Simulationswerkzeug, das verschiedener Datenquellen zusammenführt und visualisieren kann. Der Energie-Zwilling bildet Quartiere in einem digitalen, dreidimensionalen, dynamischen Modell nach und verknüpft dieses mit gemessenen Strom-, Wärme- und Wasserverbrauchsdaten. So werden die ökologischen und ökonomischen Potenziale der Energieversorgung sichtbar, etwa der Reduktion von Energieverbräuchen und -kosten und der Steigerung der Effizienz. Die Gegenüberstellung der Energieversorgungskapazitäten und des Bedarfs einerseits, und von aktuellem und potenziellem Zustand – im Sinne von Simulationen – ermöglicht die Bewertung von Energiesparpotentialen und die Vorbereitung umfassender Maßnahmen wie der Sanierung des Gebäudebestands. Dieses Beispiel zeigt besonders deutlich, dass Smart City-Lösungen helfen können, einen echten Bedarf zu decken, wie etwa die gerade im Bundeskabinett beschlossene verpflichtende kommunale Wärmeplanung.
Es gibt noch viele weitere vielversprechende Beispiele, über die sich die Öffentlichkeit schon jetzt im Wissensspeicher unserer Plattform des Smart City Dialogs informieren kann. Inwiefern das Zukunftsversprechen der Digitalisierung in der Gestaltung der kommunalen Energiewende und allen anderen Smart City-Maßnahmen für eine nachhaltige Stadtentwicklung eingelöst werden kann, wird sich erst sichtbar herausstellen, wenn die Maßnahmen der Modellprojekte weiter fortgeschritten sind und wir einen größeren Bestand an Erfahrungen haben, den wir in systematisches Praxiswissen übersetzen können. Aber schon während der Umsetzung treten wichtige Erkenntnisse zutage, von denen andere Kommunen profitieren können.
Wir überprüfen laufend unsere Arbeit, ihre Effekte und Wirkungen. Wir als Koordinierungs- und Transferstelle Modellprojekte Smart Cities (KTS) sind die zentrale Anlaufstelle für die Modellprojekte und alle anderen Kommunen in Deutschland, um das Konzept der Smart City in der Breite praxistauglich zu machen. Unser Auftrag und Ziel ist es, als Smart City Kompetenzzentrum bis zum Ende der Dekade alle Kommunen in Deutschland – das sind rund 11.000 – in den Smart City Dialog einbezogen zu haben, also sie mindestens über Chancen und Risiken der Digitalisierung für eine nachhaltige Stadtentwicklung informiert zu haben, bestenfalls aber die Kommunen motiviert und befähigt zu haben, sich selbst auf den Weg zu einer Smart City zu machen. Daran ist schon erkennbar, dass wir hier die unterschiedlichen „Reifegrade“ der Kommunen im Blick haben und ein Angebot für alle machen.
Neben den 73 Modellprojekten, die wir in so genannten Arbeits- und Entwicklungsgemeinschaften (AEG) bei der gemeinsamen Entwicklung von Smart City-Lösungen eng begleiten, haben wir aktuell mehr als 200 weitere Kommunen erreicht: mit Konferenzen und Workshops, mit Einzelberatungen oder mit sogenannten Peer Learnings, in denen Kommunen von und mit den Modellprojekten sich in gemeinsamen Lernprozessen von 6-12 Monaten mit den zentralen Themen der Smart City auseinandersetzen – etwa zu Smart City Strategieentwicklung, Datenplattformen, Partizipation oder Change Management. Wichtig ist uns hierbei, dass diese Prozesse offen sind und jede Kommune zu jedem Zeitpunkt beitreten kann, um keine geschlossenen Zirkel oder Silos zu kreieren.
Um alle Kommunen zu erreichen, reicht es nicht, dass die KTS jede Kommune einzeln anspricht und berät. Vielmehr schaffen wir eine Kooperationsinfrastruktur – z.B. mit der digitalen Wissens- und Vernetzungsplattform (WuV) und den AEG, um eine dynamische Gemeinschaft der Kommunen zu entwickeln, die exponentiell wächst. Denn die Modellprojekte und andere fortgeschrittene Kommunen, die es ja in Deutschland auch gibt, bringen die Praxiserfahrung mit und sind die besten Lernbeispiele. Schon jetzt sehen wir diese exponentielle Beteiligung und Vernetzung: im Juni 2023 war jedes Modellprojekt im Rahmen von Transferaktivitäten mit etwa 20 weiteren Kommunen vernetzt; vor einem halben Jahr waren es noch zehn. Innerhalb eines halben Jahres hat sich der (für uns sichtbare) Vernetzungsgrad also verdoppelt.
Die Modellprojekte Smart Cities treiben schon aus eigener Motivation den Wissenstransfer in die Breite voran – im Wissen, dass sie selbst davon profitieren. Es entstehen so zunehmend autonome Netzwerke entlang von Smart City Handlungsfeldern (wie Energie, Wohnen oder Mobilität), digitalen Lösungen (wie Apps, Datenplattformen oder digitalen Zwillingen) und in den Teilregionen Deutschlands. Das ist eine zentrale Voraussetzung für ein selbstlernendes Innovationssystem der Kommunen, das lange über die Bundesförderung hinaus bestehen kann. Die KTS unterstützt die Modellprojekte dabei, die Zusammenarbeit zu strukturieren, um sie auf eine höhere Ebene zu heben – idealerweise hin zur gemeinsamen Entwicklung von SC Lösungen.
Wir haben darüber hinaus noch viel vor, erweitern stetig unsere Angebote für verschiedenste Zielgruppen und greifen auch künftig immer wieder neue Anreize und Anregungen auf, um sie weiter zu verbessern.
Dipl.-Ing. Matthias Woiwode von Gilardi studierte Stadt- und Regionalplanung in Berlin und Edinburgh. Seit 2021 leitet er im DLR Projektträger die Koordinierungs- und Transferstelle Modellprojekte Smart Cities (KTS) des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen.