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Die sogenannte 70%-Abregelung von PV-Anlagen wurde eingeführt, um das Stromnetz vor Überlastung zu schützen – in Zeiten der Energiekrise sorgt die Regel jedoch für Diskussionen und wird Anfang 2023 für Neuanlagen abgeschafft. Wir haben Dr. Johannes Weniger (HTW Berlin) zu dem Thema interviewt und nachgefragt, wie das Stromnetz in Zukunft bei Stromspitzen durch PV-Erzeugung geschützt werden kann.
Veröffentlicht am: 24. August 2022Die 70%-Abregelung bei PV-Anlagen sorgt dafür, dass lediglich 70% der installierten Modul-Leistung ins Netz eingespeist werden darf, wenn sie nicht am Einspeisemanagement teilnimmt. Die Regel wurde eingeführt, um das Netz auch bei Erzeugung großer Mengen von Solarstrom in den Mittagsstunden nicht zu überlasten. Im Zuge der Energiekrise und aufgrund eines verbesserten Energiemanagements wird die Sinnhaftigkeit der Regel jedoch kontrovers diskutiert. Für Neuanlagen – und ggf. auch für Bestandsanlagen – wird die Regel Anfang 2023 abgeschafft. Dr. Johannes Weniger von der HTW Berlin forscht zu dem Thema, weshalb wir ihn zum Thema befragt haben.
Dr. Johannes Weniger von der HTW Berlin. Bildquelle: HTW Berlin
KEAN: Die 70%-Abregelung von PV-Anlagen kleiner 25kWp wurde früher durchaus begründet getroffen, nämlich um die Stabilität der Stromnetze zu schützen – insbesondere an sehr sonnigen Sommertagen. Wieso kann man in Zukunft dennoch davon absehen?
Dr. Johannes Weniger: An der Notwendigkeit von einer sinnvollen Netzintegration von PV-Anlagen hat sich im Prinzip nichts geändert. Ganz im Gegenteil: Mit dem von der Bundesregierung anvisierten jährlichen PV-Zubau von 22 GW ab dem Jahr 2026 müssen wieder Lösungen in den Vordergrund rücken, die zur Kappung der mittäglichen Solarspitzen betragen. Schließlich werden die PV-Anlagen, die heute installiert werden, auch noch im Jahr 2040 und darüber hinaus in Betrieb sein. Wenn wir dann in Deutschland PV-Anlagen mit einer Gesamtleistung von 400 GW und mehr installiert haben, müssen wir alles dafür tun, dass sich die PV-Erzeugungsspitzen nicht zum Systemsprenger entwickeln. Der Nutzen der 70%-Regel für die Systemstabilität ist fast vernachlässigbar, da dadurch nur vergleichsweise wenig von der Mittagsspitze abgefangen wird.
KEAN: Wie ist Ihre Meinung zur Abschaffung der 70%-Abregelung? Halten Sie diese aus Anlagen- und Netzbetreibersicht für sinnvoll?
Dr. Weniger: Für einen forcierten Ausbau der PV in Deutschland müssen noch mehr bürokratische und regulatorische Hürden fallen. In Hinblick auf den Aufwand und Nutzen der 70%-Regel ist deren Abschaffung sicherlich sinnvoll.
KEAN: Wird durch die Abschaffung denn tatsächlich deutlich mehr Strom durch PV-Anlagen ins Stromnetz eingespeist?
Dr. Weniger: Nach unseren Berechnungen gehen durch die Begrenzung der Leistungsabgabe der PV-Anlage auf 70 % der Nennleistung maximal 3% bis 5% des Stromertrags verloren. Wird die Leistungsabgabe dynamisch unter Berücksichtigung der Stromverbraucher im Gebäude umgesetzt, fallen die Verluste sogar noch geringer aus. Der Mehrertrag durch die Abschaffung der 70%-Regelung liegt somit im unteren einstelligen Prozentbereich.
KEAN: Bei bestehenden Anlagen soll die 70%-Abregelung laut Planungen des BMWK ebenfalls abgeschafft werden. Halten Sie dies bei Bestandsanlagen für sinnvoll?
Dr. Weniger: Nein, denn die dadurch erzielten Ertragsgewinne können den hohen administrativen Aufwand nicht rechtfertigen. Davon würden zudem auch nur PV-Anlagen mit einem großzügig dimensionierten PV-Wechselrichter profitieren, deren Leistungsabgabe durch Einstellungen in der Software fix auf 70 % limitiert wurde. Vielfach wurde in der Vergangenheit - auch aufgrund der 70%-Grenze - ein Verhältnis von PV-Wechselrichterleistung zu PV-Generatorleistung von deutlich unter 1 gewählt. Wenn die AC-Leistungsgabe des PV-Wechselrichters bereits auf 75% oder 80% der PV-Generatorleistung begrenzt ist, hat auch die Abschaffung der 70%-Grenze nur noch einen marginalen Mehrertrag zur Folge.
KEAN: Haben die Fachbetriebe aktuell überhaupt genug Kapazitäten, um die 70%-Abregelung bei allen Bestandsanlagen in den Wechselrichtern zu deaktivieren?
Dr. Weniger: Das ist fraglich, denn aufgrund der guten Auftragslage in Bezug auf den Bau von Neuanlagen hat die Branche aktuell eher andere Prioritäten.
KEAN: Wie kann das Stromnetz also in Zukunft – insbesondere zur Mittagszeit – stabil betrieben werden? Kann eine PV-Anlage mit Batteriespeicher und Energiemanagementsystem in Zukunft sogar zur Stabilität des Stromnetzes beitragen?
Dr. Weniger: Die Netzanschlussbedingungen sehen schon heute vor, dass PV-Anlagen und Batteriespeicher bei Unter- oder Überfrequenz ihre Leistung anpassen und damit zur Stabilität des Stromnetzes beitragen. In Zukunft wird es noch wichtiger werden, dass die Batteriespeicher überwiegend zur Mittagszeit geladen werden. Nur so können wir die PV-Erzeugungsspitzen auch lokal abfangen.
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