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Die Architektenkammer Niedersachsen ist sich ihrer Verantwortung für eine klimagerechte und nachhaltige Lebensweise bewusst und fordert ein "aktives und akutes Handeln". Dazu hat sie unter anderem sieben Thesen zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz im Bausektor aufgestellt. Robert Marlow ist Präsident der Architektenkammer Niedersachsen; bei der Podiumsdiskussion der Effizienztagung Bauen+Modernisieren wird er mit uns zum Thema Klimaneutralität im Gebäudesektor diskutieren. Wir haben ihm im Vorfeld schon ein paar Fragen zu seiner Vision des Bauens der Zukunft gestellt.
Veröffentlicht am: 01. November 2021KEAN: Herr Marlow, die Architektenschaft will das Thema Klimaschutz aktiv mitgestalten, ihre Verantwortung in dem Bereich wahrnehmen und das Bauen verändern. Wie sehen die nachhaltigen und klimafreundlichen Gebäude der Zukunft aus? Welches Bild davon haben Sie vor Augen?
Robert Marlow: Für mich sind, in Sachen Neubau, zukünftig alle Gebäude über ihren Lebenszyklus betrachtet (Erstellung, Betrieb und Rückbau) CO2-Neutral. Außerdem werden diese Gebäude ressourcenschonend erstellt, indem die eingesetzten Baustoffe ohne Qualitätsverluste rückbaubar und recycelfähig sind. Es wird Baustoffkataster geben, in denen Einbauart und Rückbaumöglichkeit der verwendeten Materialen erfasst sind. Und es entstehen viel mehr Gebäude der Zukunft aus dem vorhandenen Bestand.
KEAN: Bedarf es angesichts der Klimakrise und der Herausforderungen an den Gebäudesektor einer Neudefinition von „Baukultur"? Wenn ja, welche Aspekte sollten hier ein besonderes Gewicht bekommen?
Marlow: Der Begriff der Baukultur muss meiner Auffassung nach nicht neu definiert werden. Seit jeher spielen Qualität, Ästhetik und Nachhaltigkeit eine entscheidende Rolle, sowohl für den Bestand, wie auch für den Neubau, um zu baukulturell anspruchsvollen Gebäuden zu kommen. Wir haben gerade mit der Landesregierung darüber gesprochen, dass Baukultur ein Leitbild für die nachhaltige Entwicklung sein kann.
KEAN: Einen Schwerpunkt sieht die Architektenkammer auch in der „grauen Energie", also der Energie, die für die Herstellung und Entsorgung der verbauten Stoffe aufgewendet wird. Welche Bedeutung hat die graue Energie im Vergleich zu der während des gesamten Gebäudebetriebs benötigten Energie für Wärme und Strom?
Marlow: Die Bedeutung der "grauen Energie" für das klimagerechte Bauen ist immens und wird weiter zunehmen - erst recht, wenn der Betrieb immer besser reglementiert wird, und zwar sowohl im Bestand, als auch im Neubau. Während der Baubetrieb im Prinzip durch das GEG geregelt wird, werden Erstellung und Rückbau (bewusst nicht "Abriss") bisher nicht CO2-seitig bewertet, obwohl hier zusammen auch 50 Prozent der durch Gebäude direkt und indirekt verursachten CO2-Verbräuche entstehen. Eine CO2-Bewertung und besser noch -Verpreisung könnte so manche Abrissentscheidung beeinflussen und die Sanierung vor dem Neubau platzieren.
KEAN: Wenn der Ressourcenverbrauch für Nachhaltigkeit und Klimaschutz so wichtig ist, welche Rolle spielt der Neubau noch in einer nachhaltigen Architektur?
Marlow: Vorweg möchte ich sagen, dass ich nicht glaube, dass wir ohne Neubau auskommen werden. Natürlich müssen Sanierung und womöglich Nutzungsänderung des Gebäudebestands vor Abriss und Neubau ausdrücklich geprüft, und ich will betonen, auch erleichtert und gefördert werden, z. B. durch Schaffung einer "Umbauordnung". Aber wenn der Neubau über den Lebenszyklus betrachtet CO2-neutral oder besser noch CO2-positiv wird und ohne Ressourcenverbrauch erfolgt, kann auch er zur Lösung der Klimakrise beitragen. Das sollte natürlich auch für den Gebäudebestand gelten.
KEAN: Vielen Dank für das Gespräch.
Robert Marlow wird am 05.11.2021 bei der diesjährigen EffizienzTagung Bauen+Modernisieren mit mit dem wissenschaftlichen Geschäftsführer und Vorstand des ifeu Dr. Martin Pehnt und dem Co-Koordinator Bauen im Bestand bei Architects for Future Michael Wicke auf dem Eröffnungspodium über Lösungen für Klimaneutralität im Gebäudesektor diskutieren. Bis zum 04.11.2021 sind noch Anmeldungen möglich.