- Aktuelles
- Themen
- Gesetze + Normen
- Förderprogramme
- Energieberatung
- Aus der Praxis
- Veranstaltungen
- Über uns
Das ifeu, Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg, hat kommunale Wärmepläne aus Baden-Württemberg wissenschaftlich ausgewertet. Wir haben Dr. Jens Clausen vom Borderstep Institut um eine Einordnung ausgewählter Ergebnisse der wissenschaftlichen Auswertung der Wärmepläne gebeten und gefragt, was wir in Niedersachsen daraus lernen können.
Veröffentlicht am: 10. Dezember 2024KEAN: Herr Dr. Clausen, Baden-Württemberg gilt auf Bundesebene als Vorreiter für die Kommunale Wärmeplanung. Warum?
Dr. Jens Clausen: In dem Bundesland waren neun Stadtkreise und 95 große Kreisstädte verpflichtet, bereits bis zum Ende des Jahres 2023 einen Wärmeplan vorzulegen. Etliche weitere Kommunen haben dies auf freiwilliger Basis über ein landeseigenes Förderprogramm getan. Das ist eine erhebliche Anzahl.
KEAN: Was genau hat nun das ifeu (Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg) ausgewertet?
Dr. Jens Clausen: Das ifeu hat 136 fertige Wärmepläne vergleichend ausgewertet (ifeu, 2024). Für 126 dieser Pläne konnten Datensätze mit Energiedaten erstellt werden. 84 Wärmepläne aus gesetzlicher Verpflichtung und 42 freiwillige Pläne gingen so in die Untersuchung ein. Mit interessanten Ergebnissen. Dabei wurde die durchschnittliche Entwicklung der Wärmebereitstellung, differenziert nach Kommunengröße, dargestellt:
Quelle: ifeu, 2024
In dieser Darstellung fallen zwei wesentliche Dinge ins Auge: Ein im Laufe der Zeit überraschend stark sinkender Wärmebedarf und ein ebenso überraschend hoher Anteil der Versorgung über Wärmenetze.
KEAN: Können Sie das etwas näher erläutern?
Dr. Jens Clausen: Werfen wir zunächst einen Blick auf den sinkenden Wärmebedarf, der sich in den Plänen spiegelt. Der Endenergiebedarf für die Wärmebereitstellung soll je nach Art der Kommune um bis zu einem Drittel bis 2040 sinken. Der Blick in die AGEB weist für die Jahre 2007 bis 2022 ein Absinken des Verbrauchs der Haushalte und des GHD-Sektors (Gewerbe, Handel, Dienstleistungen) von Erdgas und Fernwärme von 434 auf 411 TWh/a aus, also minus fünf Prozent in 16 Jahren. Es werden demnach noch einige Anstrengungen erforderlich sein, um in den nächsten 16 Jahren den Energiebedarf für die Wärmebereitstellung um das angestrebte Niveau absenken zu können.
KEAN: Was schlussfolgern Sie daraus?
Dr. Jens Clausen: Ein erstes Zwischenfazit könnte daher lauten: Grundsätzlich sollte in den gegenwärtig in Niedersachsen entstehenden Wärmeplänen mit realistischen Annahmen für die Einsparpotenziale geplant werden, damit diese in der Praxis auch erreichbar sind und in den Fortschreibungen der Wärmeplanungen umfängliche Anpassungen vermieden werden können. Dabei sind folgende Fragen entscheiden: Wie hoch wird z.B. die Sanierungsquote sein? Wie schnell steigt der Anteil von Haushalten, in denen nur eine oder zwei Personen leben und damit letztlich die Wohnfläche pro Person? Nicht nur Effekte von Maßnahmen bedürfen der Betrachtung, auch Rebound-Effekte und gegenläufige Entwicklungen sind wichtig und sollten in die Wärmeplanung einfließen.
Inwieweit ist der ländliche Raum für die netzgebundene Versorgung mit zukunftsfähigen Wärmenetzen geeignet?
KEAN: Und wie lässt sich der geplante hohe Anteil der Versorgung über Wärmenetze erklären?
Dr. Jens Clausen: Der geplante Anteil der Wärmenetze an der Wärmeversorgung soll in allen untersuchten Kommunengrößen (im Mittel) deutlich höher ausfallen als in Szenarien auf Bundesebene (Ariadne Projekt, 2021). Steigt z.B. im Ariadne-Szenario der gegenwärtige Anteil der Fernwärme von 14 Prozent auf ca. 25 Prozent bis 2045, so weisen die Szenarien in Baden-Württemberg im Schnitt 45 Prozent der Wärmeversorgung über Netze bis 2040 auf. Besonders in Großstädten und Landgemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnenden wird mit hohen Anteilen geplant. Zum Vergleich: In den vergangenen 15 Jahren stieg die Versorgung über Wärmenetze von 12,5 Prozent in 2005 auf 14,2 Prozent in 2020 (AGEB, 2024), also um 1,7 Prozent in 15 Jahren. Auch der Fernwärmeverband AGFW erwartet bis 2050 lediglich einen Ausbau auf 30 Prozent, also plus 16 Prozent (AGFW e. V., 2021). Da muss man sich fragen: Sind auf dieser Basis in den nächsten 16 Jahren wirklich zusätzliche 30 Prozent, also knapp 2 Prozent pro Jahr, zu schaffen?
KEAN: Was gilt es zu beachten?
Dr. Jens Clausen: Es sollte stets hinterfragt werden, inwieweit der ländliche Raum für die netzgebundene Versorgung mit zukunftsfähigen Wärmenetzen geeignet ist. Gerade mit Blick auf das ländlich geprägte Niedersachsen ist dies eine Frage von zentraler Bedeutung. Zudem ist auch kritisch zu hinterfragen, ob die Kapazitäten im Tiefbau, im Wärmenetzbau und beim Bau der Anlagen zur Gewinnung regenerativer Wärme ausreichen, um diese hohen Werte Realität werden zu lassen.
KEAN: Was war Ihrer Ansicht nach noch auffällig in den Wärmeplanungen?
Dr. Jens Clausen: Der dritte auffällige Punkt in den Wärmeplänen ist das eingeplante Potenzial der Nutzung von Biomasse zur Wärmeerzeugung. Die verfügbaren Potenziale von Biomasse werden in Baden-Württemberg auf ca. 5 TWh/a veranschlagt. In allen untersuchten Wärmeplänen zusammen wird mit der Nutzung von 8,85 TWh/a Biomasse gerechnet. Dabei wird auch der Bezug aus überregionalen Quellen implizit mit eingeplant. Auch hier hilft der Blick in Szenarien auf Bundesebene weiter, die den Einsatz von Biomasse insgesamt deutlich vorsichtiger planen (Ariadne Projekt, 2021). Denn wenn alle Regionen Biomasse importieren wollen und aufgrund des international sich zuspitzenden Klimawandels auch andere Nationen nach Alternativen zu fossilen Brennstoffen suchen, dann wird dies entweder zu deutlichen Preissteigerungen oder gar zu einer Unmöglichkeit der Beschaffung der geplanten Mengen führen. Diesbezüglich ist also Vorsicht geboten und die Planung sollte nur sicher, kleinräumig und langfristig verfügbare Potenziale berücksichtigen.
Dr. Jens Clausen - Mitgründer des Borderstep Instituts
KEAN: Welche Rolle spielt die dezentrale Wärmeversorgung für die Bereitstellung von Wärme in den Plänen der baden-württembergischen Kommunen?
Dr. Jens Clausen: Das vierte überraschende Ergebnis in den kommunalen Planungen ist die Tatsache, dass kleine Landgemeinden ca. 17 Prozent der Wärmegewinnung aus Erdwärmepumpen einplanen. Die Erdwärmepumpe hatte im Jahr 2023 aber im Markt für Wärmepumpen nur einen Marktanteil von ca. 6 Prozent, die Luftwärmepumpe dagegen kam auf 93 Prozent.
KEAN: Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Dr. Jens Clausen: Die Gründe hierfür liegen einerseits an den höheren Kosten für die bei Erdwärmepumpen erforderliche Erschließung der Erdwärme durch Sonden oder Kollektoren, andererseits an begrenzten Anbieterkapazitäten. Da sich gerade die Kosten der Wärmepumpen-Anlage als begrenzender Faktor der Entscheidung für diese Form des Heizens herausgestellt hat, ist ein starkes Wachstum des Erdwärmepumpenabsatzes eher unwahrscheinlich. Sollte dies ein Planungsfehler sein, ist er allerdings von geringer Bedeutung. Denn überall dort, wo durch die Kommune im Rahmen der Wärmeplanung mit Erdwärmepumpen geplant wird, kann auch eine Luft-Wasser-Wärmepumpe mit Luftwärmetauscher oder PVT-Elementen für die Wärmeversorgung gebaut werden.
KEAN: Können Sie die Auswertung der Planungen aus Süddeutschland nochmal zusammenfassen? Was können wir in Niedersachsen daraus mitnehmen?
Dr. Jens Clausen: Grundsätzlich verdeutlichen die Ergebnisse aus Baden-Württemberg, welche Möglichkeiten es für die Transformation der Wärmeversorgung gibt. Gleichwohl sollten Kommunen bei ihrer Wärmeplanung stets darauf achten, sowohl die Gegebenheiten vor Ort zu berücksichtigen als auch realisierbare Annahmen für ihre Transformation anzusetzen. Eine Überbewertung oder einseitige Planung von Potenzialen kann bei der Wärmewende Risiken bergen. Aus diesem Grund sind zum einen die Fortschreibung und die laufende Betrachtung des Prozesses und zum anderen die Einbindung der Akteure und Wissensträger vor Ort so relevant.
KEAN: Herr Dr. Clausen, wir danken Ihnen für das informative Gespräch.
***
Über den Autor:
Dr. Jens Clausen ist Mitgründer des Borderstep Instituts. Der Diplomingenieur für Maschinenbau leitet als Senior Researcher das Borderstep Büro Hannover und ist Kooperationspartner der KEAN vor allem hinsichtlich des Themas Wärmepumpe. In seinen Arbeiten beschäftigt er sich mit Gründungs-, Innovations- und Transformationsforschung. Sein besonderes wissenschaftliches Interesse gilt den Themen Wärme, Elektromobilität und Digitalisierung.
Quellen
AGEB. (2023). Auswertungstabellen zur Energiebilanz Deutschland. Daten für die Jahre von 1990 bis 2022. Münster. Zugriff am 31.10.2024. Verfügbar unter: www.ag-energiebilanzen.de/wp-content/uploads/2023/10/awt_2022_deu-1.pdf
AGEB. (2024). Energieverbrauch in Deutschland Daten für das 1. Quartal 2024. Münster. Zugriff am 31.10.2024. Verfügbar unter: www.ag-energiebilanzen.de/wp-content/uploads/2024/06/quartalsbericht_q1_2024.pdf
AGFW e. V. (2021, Oktober 29). Energieeffizienzverband AGFW fordert: Aus- und Umbau der Fernwärme sollte wichtiger Bestandteil des Koalitionsvertrags sein. Zugriff am 19.11.2024. Verfügbar unter: www.agfw.de/energiewirtschaft-recht-politik/energiewende-politik/aktuelles-aus-dem-bereich/newsdetail/energieeffizienzverband-agfw-fordert-aus-und-umbau-der-fernwaerme-sollte-wichtiger-bestandteil-des-koalitionsvertrags-sein
Ariadne Projekt. (2021). Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045. Szenarien und Pfade im Modellvergleich. Potsdam. Zugriff am 24.7.2022. Verfügbar unter: www.ariadneprojekt.de/publikation/deutschland-auf-dem-weg-zur-klimaneutralitat-2045-szenarienreport/#weiterfuehrende-kapitel-110-appendix-modellbeschreibungen-glossar
ifeu. (2024). Wärmegipfel BaWü: Ergebnisse aus der wissenschaftlichen Auswertung der Wärmepläne. Heidelberg. Zugriff am 31.10.2024. Verfügbar unter: https://www.ifeu.de/projekt/waermegipfel-baden-wuerttemberg-wissenschaftliche-begleitung
Eike Bronn
0511 89 70 39-56
eike.bronn [at] klimaschutz-niedersachsen.de