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In der Debatte um die nötige energetische Sanierung des Gebäudebestandes in Deutschland wird immer wieder von der so genannten Sanierungsrate bzw. Sanierungsquote gesprochen. Diese liege viel zu niedrig bei rund 1 Prozent, sie müsse dringend mindestens verdoppelt werden, nur so ließe sich ein klimaneutraler Gebäudebestand bis zum 2050 in Deutschland erreichen.
So weit, so klar – doch unklar ist: Was sagt uns diese Sanierungsrate oder -quote? Auf welcher Datenbasis baut sie auf und vor allem, welche Aussagekraft hat sie in Bezug auf die Wirkung der jeweiligen Sanierungsmaßnahmen? Der Versuch einer Begriffsklärung.
Sanierungsrate / Sanierungsquote
Der Begriff „Sanierungsrate" wird im Energiekonzept 2010 der Bundesregierung erwähnt und von vielen Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik bis heute konsequent verwendet. Das ist insofern überraschend, da sich die Bundesregierung schon 2017 von der Sanierungsrate als Maßeinheit für den Erfolg der Gebäudesanierung scheinbar mehr oder weniger verabschiedet hatte. Zumindest schrieb sie seinerzeit ergänzend zur Antwort auf eine Anfrage der Grünen Bundestagsabgeordneten, Julia Verlinden: „Aus Sicht der Bundesregierung ist das Vorhandensein einer Sanierungsrate für die Nachweise der Ziele des Energiekonzepts nicht essentiell."
Konsequent ist es hingegen, denn bereits im Jahr 2016 hatte das Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in einer Analyse "Datenbasis zum Gebäudebestand" feststellt: „Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die viel zitierte Sanierungsrate in ihrer jetzigen Form kaum als politische Zielvorgabe geeignet ist. Sie fußt auf einer Auswertung, die nur 0,5 Promille des Gesamtbestands an Wohngebäuden repräsentiert." Zudem wurden lediglich Dämmmaßnahmen der Gebäudehülle inklusive der Bodenplatte und Kellerdecke in die so genannte Sanierungsrate einbezogen, Maßnahmen der Heizungsoptimierung sowie die Integration von erneuerbaren Energien blieben gänzlich außen vor.
Die Analyse des BBSR kommt daher zu dem Schluss, dass sämtliche Prognosen und Sanierungsfahrpläne nur eine unzureichende Datengrundlage haben. „Es gibt keine Quelle, die jährlich aktuell eine energetische Sanierungsrate für den deutschen Gebäudebestand aufzeigt. Valide Aussagen über erforderliche Sanierungsquoten und Sanierungstiefen (Standard und Qualität) bedürfen daher einer besseren Grundlage." BBSR, 2016
Datenbasis verbessern!
Was also dringend benötigt wird, ist ein Gebäuderegister, in dem der gesamte Gebäudebestand erfasst wird – unterteilt in Wohn- und Nichtwohngebäude – und anhand dem die nach und nach erfolgte energetische Sanierung der Gebäude abgebildet wird.
Eine erste Zusammenstellung von „Energiedaten von Wohngebäuden in Deutschland" hat die gemeinnützige co2online GmbH aufgebaut, basierend auf Daten, die sie seit dem Jahr 2003 im Rahmen von verschiedenen Kampagnen und Online-Tools rund um das Thema Energiesparen gesammelt hat sowie auf Daten des Zensus 2011 und Mikrozensus 2014. Anhand von rund einer Million Datensätzen lässt sich ablesen, wie u.a. der Gebäudebestand mit Blick auf Gebäudetyp und –alter sowie dem genutzten Energieträger und dem Sanierungsstand aussieht – jeweils unterteilt nach Bundesländern. Die Zahlen für Niedersachsen bilden eine erste Grundlage, um eine landesweite Erhebung und Klassifizierung voranzubringen.
Eine weitere bundesweite "Datenerhebung zum Gebäudebestand", die jedoch einen Fokus auf das Land Hessen legt, hat im Jahr 2018 das Institut Wohnen und Umwelt (IWU) vorgestellt. Anhand einer Stichprobenbefragung von Wohngebäudeeigentümern konnten mithilfe von 683 kommunalen Grundsteuerstellen bundesweit fast 17.000 Gebäudedatensätze mit Aussagen zum Zustand sowie der aktuellen Entwicklung von Wärmeschutz, Heizung und Gebäudetechnik in eine Auswertungsdatenbank eingegeben werden.
Sanierungsumfang und Sanierungstiefe
Wenn landläufig von der Sanierungsrate gesprochen wird, ist damit in der Regel keine erschöpfende Aussage darüber getroffen, was im Einzelnen und in welchem Umfang konkret umgesetzt wurde. Meist werden Fensterwechsel, Dachsanierung oder Außenwanddämmung genannt. Gerade mit Blick auf Einzelmaßnahmen stellt sich die Frage, ab wann man davon sprechen kann, dass ein Gebäude energetisch saniert wurde.
Und auch wenn an einem Gebäude eine Vollsanierung vorgenommen wurde, also alle Komponenten der Gebäudehülle, die Heizungs- und Warmwasseranlage und ggf. das Lüftungssystem des Gebäudes energetisch saniert wurden, bleibt die Frage nach der so genannten Sanierungstiefe. Das heißt, welcher energetische Standard, welcher maximale Energiebedarf pro Quadratmeter und Jahr wurde erreicht?
Selbst wenn diese Frage beantwortet werden kann, bleibt offen: Wie wirken sich die umgesetzten Sanierungsmaßnahmen auf den tatsächlichen Energieverbrauch der Gebäude aus?
Sanierungswirkung
Um diese Frage zu beantworten, hatte co2online bereits im Jahr 2015 eine Studie „Wirksam Sanieren: Chancen für den Klimaschutz" durchgeführt, die in einem Feldtest mit rund 180 Gebäuden die Sanierungswirkung umgesetzter Maßnahmen untersucht. Hier zeigt sich, dass selbst wenn die technischen Potenziale der Maßnahmen und die Gebäudearten ähnlich bis identisch sind, die jeweilige Sanierungswirkung unterschiedlich hoch ausfallen kann.
Die Gründe liegen in der Komplexität des Zusammenspiels verschiedener Sanierungsmaßnahmen, im Nutzungsverhalten der Bewohnerinnen und Bewohner und damit verbundenen Rebound-Effekten sowie der möglicherweise fehlenden Abstimmung der einzelnen Maßnahmen bzw. Einregulierung technischer Anlagenkomponenten aufeinander.
Sanierungsrate ohne Aussagekraft
Wenn es um mehr Energieeffizienz im Gebäudebereich geht, insbesondere um die energetische Sanierung des Gebäudebestandes, dann muss auf die jeweilige Begrifflichkeit geachtet werden. Zur „Sanierungsrate" gibt es zurzeit wenig belastbare Daten. Deshalb hat eine Diskussion auf Basis des genannten 1 Prozent pro Jahr eine geringe Aussagekraft.
Energetische Sanierungen insgesamt steigern
Fakt bleibt: Die energetischen Sanierungen im Gebäudebestand müssen deutlich gesteigert werden, das zeigen die Daten zur Treibhausgasemission. Die konkrete Angabe des jährlich zu sanierenden Gebäudeanteils lässt sich auf der Grundlage der verfügbaren Daten nicht benennen.
Sanierungswirkung im Fokus
Ebenso wichtig ist es, die gesamte Wirkung von Maßnahmen und Gesamtkonzepten in Bezug auf CO2-und Energie-Einsparung im Blick zu haben. Dies sollte die gesamte energetische Optimierung eines Gebäudes beinhalten, also auch die Integration von erneuerbaren Energien.
Messsysteme für valide Daten
Wesentlich wird zudem sein, entsprechende Messsysteme zu entwickeln und zu installieren, die in der Praxis zu einer validen Datengrundlage beitragen. Dies fördert die Transparenz der realen Energieverbräuche, wodurch die Nutzerinnen und Nutzer ihr Verhalten reflektieren und Fehlfunktionen selbst erkennen können.
Qualifizierte Energieberatung
Am Anfang einer energetischen Gebäudesanierung steht jedoch die qualifizierte und unabhängige Energieberatung. Sie muss gestärkt werden, um anhand von individuellen Sanierungsfahrplänen den gesamten Sanierungsprozess im Blick zu halten und anhand eines Monitoring die Erfolge zu überwachen.